„Es geht darum, den Kindern eine größere Auswahl an Möglichkeiten zu geben und sie nicht auf gesellschaftliche Erwartungen aufgrund des Geschlechts zu beschränken.“ (Lotta Rajalin, Gründerin des Kindergartens Egalia in Stockholm)
Die Gründung von Egalia als großer Aufreger
Als 2011 in Stockholm der geschlechtsneutrale Kindergarten Egalia eröffnet wurde, wurde in schwedischen und internationalen Medien groß darüber berichtet. Die Elementarpädagogin Lotta Rajalin kam auf die Idee, Egalia zu gründen als Videoaufnahmen aus ihrem Kindergarten zeigten, dass die Erzieher*innen Mädchen und Buben unterschiedlich behandelten. Dabei geht es vor allem um die Erwartungen der Erwachsenen. Wenn von einem Buben erwartet wird, dass er wild ist und laut, dann wird er sich auch eher so verhalten. Und wenn Mädchen dafür gelobt werden, dass sie brav und ordentlich sind, dann motiviert sie das dazu, diesen Erwartungen zu entsprechen. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es nicht die Kinder sind, die verändert werden müssten. Vielmehr könnten Erzieher*innen selbst dazu beitragen, Vorurteile und stereotypes Rollendenken abzubauen.
Geschlechtssensibler Kindergarten in Wien
Aber wir müssen nicht nach Schweden blicken, um Beispiele für geschlechtssensible Ansätze in der Elementarpädagogik zu finden. Auch im deutschsprachigen Raum setzen sich seit dem Beginn 2000er Jahre Kinderbetreuungseinrichtungen mit der Geschlechterthematik auseinander (Rohrmann 2009). Ein Kindergarten in Wien startete bereits 1999 ein dreijähriges Modellprojekt mit dem Schwerpunkt „Geschlechtssensible Pädagogik“. Dieses Projekt wurde anschließend in den Regelbetrieb überführt und evaluiert (Frauenbüro der Stadt Wien, 2003a; 2003b).
Das pädagogische Konzept der Einrichtung ruht auf vier Säulen:
- Personalkonzept: Hier geht es darum, Männer und Frauen in unterschiedlichen Positionen und als positives Rollenvorbild wahrzunehmen. Daher wurden besondere Bemühungen zur Erhöhung des Männeranteils beim Personal unternommen. Dieser Aspekt ist insofern wichtig, da die Vorbildwirkung der Erwachsenen eine große Rolle beim Vermitteln von geschlechterstereotypen Verhaltensweisen geht. Dem steht im Kindergarten ein leider noch immer sehr niedriger Anteil an Männern beim Personal entgegen, der in Österreich nach wie vor bei niedrigen 2% stagniert. In der Elementarpädagogik-Ausbildung liegt der Männeranteil bei knapp 7%. Durch laufende Fortbildungen soll das Personal die eigene Rolle reflektieren.
- Raumkonzept: In der pädagogischen Arbeit mit den Kindern wurden Bereiche, in denen eine Geschlechtsgruppe überwiegend geschlechtstypischen Aktivitäten nachging, umgestaltet, um auch geschlechtsuntypische Aktivitäten nahe zu legen. Eine Puppenecke oder eine Bauecke gibt es nicht mehr.
- Planung & Reflexion: Alle Aktivitäten (Freispiel, Ausflüge etc.) werden unter dem Aspekt der geschlechtssensiblen Pädagogik betrachtet, Materialien und Bildungsmittel unter Beachtung von geschlechtssensiblen Kriterien ausgewählt, Beispiele: Thema „Berufe“ (Kennenlernen von männer- und frauenuntypischen Berufsfeldern) „Einmal um die ganze Welt“ (Ist rosa wirklich in jeder Kultur eine Mädchenfarbe?)
- Elternarbeit: Es wird versucht, Mütter und Väter gleichermaßen in den Alltag zu integrieren und nicht automatisch Mütter als erstes zu kontaktieren. Außerdem wird versucht, Frauen und Männer in untypischen Rollen zu zeigen. Beispiel: Männer Keksbacktag & Frauen Werktag
Konzepte und Leitfäden für die Umsetzung
In der Folge wurde eine Reihe von Konzepten und Leitfäden entwickelt, um die Erkenntnisse aus der Forschung und Praxis zu geschlechtssensibler Pädagogik in weiteren Einrichtungen zu implementieren. In diesem Zusammenhang entstand eine umfangreiche Education Box für gendersensible Erziehung. Diese umfasst neben einem ausführlichen Leitfaden und detaillierten Qualitätsstandards für geschlechtssensible Pädagogik (Schneider, 2005a) acht Hefte mit Praxishilfen (u.a. Geschichten; Sagen & Märchen; ein Liederbuch; Spiele; Bewegung; Rezensionen von Bilderbüchern).
Und was heißt das in Bezug auf digitale Medienpädagogik?
Auch in der digitalen Medienpädagogik geht es darum, dass Kinder Angebote nicht geschlechtsspezifisch, sondern offen für neue Interessen nutzen. Ausgezeichnete MINT-Gütesiegel Kindergärten versuchen daher, das Ausprobieren in einfachen Versuchen und Bastelarbeiten so zu gestalten, dass möglichst alle Lust auf spielerisches Forschen und Entdecken haben. Um geschlechtsspezifische Rollen zu vermeiden, werden Mädchen bewusst als Guides oder Anleiterinnen beim Experimentieren eingesetzt oder Buben beim Aufräumen nicht-technischer Unterrichtskomponenten oder bei Care-Arbeiten (Mehr dazu).